"Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge.“
Wilhelm Busch
Bei den meisten wichtigen Anlässen, wie Geburts- oder Namenstagen, Festen und Feierlichkeiten aller Art, gehört es einfach dazu, sich Glück zu wünschen. Die häufigste Antwort auf diesen Wunsch lautet: „Danke, ich kann es gut gebrauchen.“
Mit anderen Worten: Wir wollen glücklich sein und setzen diesen Zustand auf Platz eins unserer angestrebten Ziele. Schauen wir aber genauer hin, was das Glücklichsein an sich sein soll, neigen wir in der Regel dazu, eine ganze Reihe von Zuständen und Ereignissen aufzuzählen, die sowohl individuell als auch gesellschaftlich ein gutes Leben ermöglichen sollen. Dazu zählen Gesundheit, unterschiedliche Formen von Beziehungen, tolle Berufschancen und natürlich ein gewisser Wohlstand, der in jedem Fall unsere Grundexistenz garantieren soll und der nach oben natürlich sehr offen ist.
Nun leben wir seit einigen Jahrzehnten in einem Land, in dem die Lebenserwartung sehr hoch ist und das Gesundheitssystem zu den besten der Welt gehört. Wir sind nahezu gänzlich frei darin, unterschiedlichste Arten von Beziehungen einzugehen oder diese auch zu beenden. Noch nie hatten wir solch einen offenen und häufig auch noch kostenlosen Zugang zu den vielfältigsten Ausbildungsgängen und waren auch noch nie so gut arbeitsrechtlich abgesichert wie heute. Mehr noch: Im Falle einer persönlichen Katastrophe sind wir gesellschaftlich und meist auch noch privat gegen alle möglichen Ein- und Ausfälle abgesichert, so dass in unserem Land niemand behaupten kann, er oder sie müsse um sein Leben bangen. Das war vor einigen Jahrzehnten noch ganz anders.
Noch nie in unserer Geschichte ging es uns, was die Verfügbarkeit der „Glückszutaten“ angeht, so gut wie heute. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt beneiden uns um unsere Lebensumstände und gehen davon aus, dass wir zu den glücklichsten und zufriedensten Menschen zählen. Und gerade deswegen verblüfft umso mehr die Tatsache, dass wir uns sowohl statistisch, wie auch gefühlt, im Ranking der glücklichsten Nationen weit hinten platziert sehen. Ist das nicht bemerkenswert?
Vielleicht liegt einer der Gründe darin, dass wir ungeachtet dessen, was wir im Augenblick bereits leben und erleben, immer noch glücklicher werden wollen? Dass unser Blick viel zu wenig und viel zu selten eins ist mit dem was gerade geschieht und das Geschehen dadurch kaputt macht, weil wir das Geschehene mal wieder mit etwas „Besserem“ vergleichen, das wir schon mal erlebt hatten oder unbedingt erleben wollen? Kann es sein, dass das Glücklich-Sein-Wollen unsere Aufmerksamkeit fast immer von dem jetzigen Augenblick abzieht, so dass wir das meiste Geschehen erst dadurch ins Un-Glück bringen, weil wir es, gemessen an unserer Erwartung, für des Glückes nicht würdig genug halten?
Vielleicht stimmt der alte Spruch, wonach wir unseres Glückes Schmied wären, doch. Denn anstatt das Eisen zu schmieden, so lange es heiß ist, also in der Unmittelbarkeit, lassen wir es in der Ecke liegen und lassen uns mal wieder gänzlich durch die Vorstellung eines Umstandes besetzen, von dem wir uns endlich das wahre und natürlich auch noch dauerhafte Glück versprechen.
Vielleicht ist die Tatsache, dass wir leben das Glück schlechthin? Aber dann umfasst es Freude und Leid, Lust und Trauer, Begrüßung und Abschied, Krankheit und Genesung. Zu glauben, wir könnten nur einige, unserer Gewohnheit und Vorstellung zuträgliche Aspekte des Lebens erleben und die anderen ungeschehen machen, scheint gegen das Leben selber zu verstoßen. Und das Leben, durch uns selber verkörpert, reagiert prompt. Fühlt es sich ungelebt, lässt es uns unglücklich dastehen.
Also was tun?
Tun wir das, wozu uns das Leben selber jeden Augenblick einlädt und trauen uns etwas mehr und etwas länger das wahrzunehmen, was gerade geschieht.
Es grüßt Euch herzlich
Alexander