„Drum, wer Ohren hat zu hören, der höre!
Es ist nicht zwei, nicht drei, nicht tausende,
es ist Eins und alles; es ist nicht Körper und Geist geschieden,
dass eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre,
es ist Eins, gehört sich selbst,
und ist Zeit und Ewigkeit zugleich,
und sichtbar und unsichtbar, bleibend im Wandel,
ein unendliches Leben.
Karoline von Günderode
Einheit von allem. Was ist das? Die wirkliche Schwierigkeit besteht darin, dass der Verstand sofort eine Interpretation liefert. Alles, was auf dem spirituellen Weg gehört wurde, gelesen wurde, vielleicht sogar als leise Ahnung erfahren wurde, interpretiert sich über den Intellekt, versucht sich einzusortieren, um die gewohnte Sicherheit aufrecht zu erhalten. Sicherheit, die in der personellen Struktur begründet ist. Genau jener Struktur, die die Dualität, die Gegenüberstellung von Ich und Du, als existenziell notwendig erfahren hat und erfährt.
Um den Alltag organisieren zu können und auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen kommunizieren zu können, braucht es ein starkes Ich. Allein der Besuch eines Kurses erfordert Struktur und vielerlei rationale Entscheidungen – beginnend mit der Organisation des Hauses, Terminplänen, Kursprogramm, Kursleitung etc. Erst dann ist eine Anmeldung und der Besuch überhaupt möglich. Weshalb also sollte das Ich entwertet werden?
Wird es auch nicht. Die so selbstverständliche Über-Bewertung lässt es so empfinden. Sie scheint so stark in uns konditioniert, dass jede Aufforderung des Spürens, Lauschens, Innehaltens, jede Frage nach der Wirklichkeit „hinter“ dem Ich, als Ent-Wertung empfunden wird und in Widerstand mündet. Das „starke Ich“, kostbar und sehr sinnvoll, offenbart seine Schwäche: die bedingungslose Aufrechterhaltung der Machtstruktur, die sinnentleerte Über-Bewertung.
Ein vis-à-vis ein Gesicht-zu-Gesicht (zugegeben, eine etwas gewagte direkte Übersetzung des so geläufigen Wortes) erfährt sich zunächst nicht als Einheit, sondern als Ich und Du in Beziehung, Auseinandersetzung und Kommunikation. Dass wir einander Spiegel sind, ist eine meist langsam reifende Erkenntnis. Dass wir einander nicht nur Spiegel sind, sondern wir selbst es sind, die sich im anderen begegnen, weiter noch, wir selbst die – der – das Andere sind, ist mit dem Intellekt nicht mehr erfassbar, entzieht sich unserer Erkenntnismöglichkeit. Einheit von allem ist keine Erkenntnis, auch wenn es sich unsere personale Struktur noch so sehr wünscht, herbeisehnt und daran arbeitet und übt. Es ist eine Erfahrung des Seins im Augenblick. Einheit von allem ist, was wir zutiefst sind.
Während ich hier am PC sitze und schreibe, ist in einem anderen Zimmer klassische Musik zu hören, Rameau – dirigiert von Teodor Currentzis. Die Musik ist leise im Hintergrund und doch webt sie sich ein. Der Intellekt sucht nach Worten um die Erfahrung der Einheit in diesem Text Ausdruck finden zu lassen, sie zu transportieren. Zugleich ist diese wunderbare Musik spürbar anwesend.
Zunächst ist es ein Hören…. dann ein Spüren…. in allen Zellen…. Klang sein….
So findet sich ein wunderbares Beispiel. Das Hören ist noch in einer Distanz zum Klang, das Spüren löst die Distanz langsam auf, das Klangsein erfährt den Augenblick, die Einheit. Musik, vor Jahrhunderten komponiert – in unserer Zeit neu dirigiert…. eine Brücke über die Zeit…. Zeit und Ewigkeit zugleich.
Einheit von allem ist Wirklichkeit.