Heil Sein"
von Harald Homberger
Kontemplationslehrer der Linie "Wolke des Nichtwissens" (Willigis Jäger), Spiritueller Leiter der Tradition "Samyama Integrale Yogameditation", Psychotherapeut
"Die rätselhafte Wurzel der Heilung ist Verbundenheit"
(Sharon Salzberg)
Werden wir krank, wollen wir die Krankheit in der Regel nicht haben und möchten sofort gesund werden. Alles soll so sein wie vorher. Oft fühlen wir uns durch die Erkrankung gekränkt oder beleidigt. Wir fühlen uns dann als Opfer, denken „Ich, Arme“ oder wir verurteilen uns: “Immer passiert das mir“.
Indem wir gegen die Erkrankung kämpfen, vergeuden wir Lebensenergie, weil wir nicht anerkennen können, dass wir sie gerade haben.
Viele Menschen entwickeln auch eine Anspruchshaltung verbunden mit Schuldzuweisungen. Das geht soweit, dass sie völlig die Verantwortung für die eigene Gesundheit abgeben. Der Arzt oder andere Heiler sollen ihnen sagen, was für sie gut ist und was nicht.
Was bewegt uns noch?
Wir entwickeln zu unserem Krankheitszustand Ängste und Befürchtungen bis hin zu einer Depression, weil wir durch unsere Krankheit in eine äußere Nichthandlungsfähigkeit hineingezwungen werden. Wir leiden!
Was wäre, wenn wir uns erlauben könnten, dass wir leiden, ohne uns zu bemitleiden und nicht dem sofortigen Wunsch nach Veränderung folgen? Wenn wir nicht dem Wunsch der sofortigen Verdrängung des augenblicklichen Zustandes des Leides folgen würden? Was wäre dann?
Aus einer ganzheitlichen Sicht heraus können wir uns fragen, was das Nährende an unserem Schmerz, unserer Krankheit ist. Was will die Erkrankung von mir? Was sollte ich möglicherweise anderes tun? Auf wen oder was möchte mich das Leid hinweisen? Kommen mir eigene Handlungsweisen, Personen, Ereignisse in dem Sinn, wenn ich zur Untätigkeit gezwungen in meinem Bett liege? Habe ich etwas unterlassen? Sollte ich etwas verändern, beispielsweise in der Partnerschaft, im Beruf, im Umgang mit mir selbst oder meinen Lebensentwurf?
Manchmal entdecken wir beim Spüren einer Erkrankung etwas, das als sekundärer Krankheitsgewinn bezeichnet wird. Also, wenn wir uns die Frage stellen: Welchen Vorteil habe ich davon, dass ich diese Krankheit habe? Was muss ich dadurch vielleicht nicht mehr tun?
Es gibt unendlich viele Teile in uns, die gesehen werden wollen und Anerkennung brauchen. Zum Beispiel dieser eine Teil in uns, der krank, ängstlich und depressiv ist. Ebenso wie der andere Teil, der wieder gesund sein möchte.
Ein Lösungsansatz ist, beide Bewegungen in uns wahrzunehmen und anzuerkennen, sie beide miteinander ins Gespräch kommen lassen und ihnen eine Stimme geben. Was will der eine Teil, was wir tun oder lassen sollen, und was der andere? Beiden Stimmen in uns sollte gleichberechtigt Raum gegeben werden. Das Fremde in uns annehmen, nicht bewerten, nicht verurteilen, anerkennen, was in uns ist. Auch wenn es Veränderung in unserem Leben bedeutet, die vielleicht – da sie uns unbekannt ist – Angst macht.
Gelingt uns das Annehmen, erleben wir Erkrankung oder anderes Leid als Wende oder Chance in unserem Leben. Sie bringt uns zu dem, was jetzt wesentlich gelebt werden muss im Sinne einer ganzheitlichen Erfahrung.
Dann empfinden wir gegenüber der Erkrankung – und was sie in unserem Leben bewirkt – Dankbarkeit und manches Mal auch Demut, da wir sie als „geschickt“ erleben, um eine Veränderung in Gang zu setzen. Dann fühlen wir uns eingebunden in einen größeren Zusammenhang. Wir erleben uns – einfach ausgedrückt – ganz, vollständig, heil.
Was hilft uns dabei?
Achtsamkeit, eine von klarem Bewusstsein getragene Aufmerksamkeit, gilt heute als der wichtigste Leitfaden durch die Parameter von Heilsein. Dabei geht es darum, in jedem Moment so gegenwärtig und bewusst wie möglich zu sein. Es ist eine Übungspraxis des Gewahrwerdens und Gewahrbleibens für all das, was im gegenwärtigen Moment geschieht – im Körper, im Atem und im Geist. Es ist ein sich Öffnen, unsere Ich–Wahrnehmung übersteigend, in dem was noch wahrnehmbar ist. Das kann geschehen, wenn wir nicht mit den Bewegungen unseres Geistes identifiziert sind.
Heilung und Heilsein sind nicht gebunden an dem vollständigen Verschwinden einer Erkrankung. Wir können auch mit einer uns verändernden Krankheit Lebensziele weiterverfolgen, im Leiden eine Sinnhaftigkeit erkennen, die uns zu einer anderen Dimension unseres Daseins führt. Heilung gelingt dann, wenn wir uns mit dem verbinden, was über uns hinausweist und gleichzeitig anerkennen, was ist. Jetzt und Jetzt, Jetzt und auch im Leid.
Somit sind Heilung und Heilsein immer ein heiliger Moment. Heilsein ist ein Verneigen vor der Endlichkeit unseres Lebens, ein Erwachen in das Leben als Ganzes.
Dieser eine Atemzug, dieser eine Augenblick, wenn Du schaust und gleichzeitig angeschaut wirst: Dein Herz berührt das Sein und das Sein Deines.
Wenn das geschieht – welche Tiefe offenbart sich!
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