Die Bedeutung von Leistung
Impuls zum Thema "Die Bedeutung von Leistung" von Doris Zölls, spirituelle Leitung Benediktushof
Der Rabbiner von Chicago ist leidenschaftlicher Golfspieler. Die ganze Woche war dicker Nebel – am Schabbes jedoch scheint die Sonne. Der Rabbiner steht am frühen Morgen auf dem menschenleeren Golfplatz, die Sportleidenschaft siegt über die Frömmigkeit, er nimmt den Schläger in die Hand... Sein Vater schaut vom Himmel herab und sagt kopfschüttelnd zum lieben Gott: „Siehst du, was
mein Sohn, der Rebbe, da unten macht?“ Der liebe Gott antwortet: „Ich werde ihn bestrafen!“ Der Rabbiner unten legt den Ball zurecht, holt mächtig aus und schlägt... 250 Meter und genau ins Loch! Sein Vater sagt verbittert: „Das nennst du Strafe?“ Der liebe Gott lächelt: „Wem soll er es erzählen?“
In dieser kleinen Geschichte wird die schillernde Bedeutung von Leistung wunderbar sichtbar.
Am eindrücklichsten ist, dass eine hervorragende Leistung, die für andere nicht sichtbar ist und ich mich mit ihr nicht brüsten kann, als Strafe bezeichnet wird. Leistung, Stolz, Anerkennung, Versagen, unser ICH, sie alle sind eng miteinander verwoben. Schon von klein auf erleben wir, dass, wenn uns etwas gelingt, wir gelobt werden. Da freuen sich die Eltern, wenn das Kind die ersten Schritte macht, ja schon wenn es sich in die Senkrechte begibt. Das Kind geht aufs Töpfchen und die Eltern loben es für sein Produkt, als ob es dieses selbst geschaffen hätte.
So geht es in unserem Leben beständig weiter. Alles, was den Wünschen und Vorstellungen entspricht, darüber freuen sich Eltern, Lehrer, Freunde, Mitmenschen. Für alle „Leistungen“ bekommen wir Anerkennung. Da ist es unumgänglich, dass sich in unseren Köpfen der Gedanke einnistet, mein ICH leistet Unglaubliches.
Wenn ich dem Erwünschten der anderen entspreche, dann bin ich richtig und werde dafür belohnt. Anerkennung ruft in uns angenehme Gefühle hervor und so ist es verständlich, dass wir uns in unserem ganzen Leben auf den Weg machen, nach Anerkennung zu heischen. Unser ICH hat sich die Leistung auf seine Fahne geschrieben, doch wehe, wenn es den Vorstellungen nicht nachkommt. Misslingt uns etwas, bleibt das angenehme Gefühl des Lobes aus, ja folgt statt dessen ein Tadel, tun sich sogleich unangenehme Gefühle auf. Unser ICH fühlt sich beschämt, nicht mehr angenommen. Es hat versagt. ICH kann es nicht. Mein ICH will sein Scheitern vertuschen, vielleicht findet es Schuldige, die das Scheitern verursacht haben, dann hat es wenigstens eine Entschuldigung, doch der Leistungsdruck bleibt nicht aus und drückt auf unser ICH.
Schauen wir jedoch auf diese so genannten Leistungen, stellt man ganz schnell fest, dass es da überhaupt kein ICH gibt, das sich frei und unabhängig entscheiden könnte, Großartiges zu leisten. Das Kind entscheidet sich nicht, jetzt richte ich mich auf, jetzt laufe ich. Das Aufrichten, das Laufen, stecken in ihm und wollen sich in ihm entfalten!
Das gilt für all unsere Leistungen, für die wir unser freies, eigenständiges ICH verantwortlich machen. Die Leistungen sind in uns und wollen gelebt werden. Auf ein ICH stolz zu sein und Leistungen als seinen eigenen Erfolg zu deklarieren, trifft die Sache nicht. Worauf könnten wir da stolz sein, dass sich das Leben in uns so vollzieht? Wenn sich jedoch in uns alles „von ganz alleine“ entfaltet, bedeutet dies dann nicht, dass wir eben sind, wie wir sind, determiniert, fest gelegt auf das, was in uns angelegt ist und dafür nicht verantwortlich? Muster, Konditionierungen, Prägungen, eben das, was wir als unser ICH verstehen, bestimmt uns unbewusst sehr. Doch gleichzeitig ist dieses ICH nicht frei und eigenständig. Es ist abhängig von den Umständen, es schwankt daher hin und her und wandelt sich je nach Situation. Bereits wenn es verliebt ist macht dieses Gefühl aus jemanden, der vorher vielleicht unentwegt genörgelt hat, einen fröhlichen und zufriedenen Zeitgenossen. Wer sind wir dann wirklich?
Auf diese Frage antwortete einst ein alter Zen-Meister seinem Schüler: „Willst du wissen wer du wirklich bist, dann sei achtsam bei allem, was du tust. Nimm wahr, was sich in diesem Augenblick lebt.“ Kein ICH kann etwas leisten, kein ICH kann scheitern. Stolz, Minderwertigkeit, Neid, Missgunst, die Gier nach Anerkennung, sie alle sind Gedanken und Gefühle, die die Ereignisse des Lebens unangenehm färben.
Erkennen wir sie als Chimären und halten sie nicht fest, können sie sich auflösen und unser ICH steht nicht mehr dem Leben gegenüber, sondern es wird eins mit dem Leben. Leistungen geschehen. Freude taucht auf. Versagen geschieht. Ich halte das unangenehme Gefühl aus. Nichts fest halten, weder das eine bevorzugen, noch das andere ablehnen, macht uns frei in jedem Augenblick das zu leben, was sich gerade ereignet.
Nichts wird sich in der Welt ändern, ändert sich nicht der Mensch!
Nichts wird sich in der Welt ändern, ändert sich nicht der Mensch!
Am Ende seiner Reden pflegt der Inder Jiddu Krishnamurti Fragen zu beantworten, die ihm von seinen Hörern im voraus vorgelegt worden sind. So auch gestern bei seinem ersten Vortrag in der (nicht ganz gefüllten) großen Musikhalle.
Eine der Fragen hieß: Wie können wir einen neuen Krieg verhindern? (Es ist das Nächstliegende, was die Deutschen bedrängt.)
Krishnamurti antwortete darauf, dass sich nichts ändern werde, wenn der Mensch sich nicht ändere, sondern darauf beharre, in erster Linie Deutscher oder Inder oder Russe oder Christ oder Mohammedaner zu bleiben, statt in erster Linie Mensch zu sein. Er müsse sich bewusst machen, wie sehr er an diese Vorstellungen seiner Überlieferung gebunden sei und sich über sie erheben, um jeden anderen Menschen wie auch sich selbst als Menschen erleben zu können.
Zu diesen Belastungen durch die Überlieferung zähle auch das soziale Erfolgsstreben, der Ehrgeiz, der Egoismus des Menschen. Wenn er immer noch mehr werden und haben wolle – das sei ja bereits »Krieg«, und er werde den Krieg nicht überwinden, solange er sich in diesen Punkten nicht ändere. Die äußeren Zustände in der Welt seien ja nur der Ausdruck dessen, was in den Menschen innerlich vorgehe. Durch Gesetze der Staaten sei der Frieden nicht zu bekommen, sondern nur durch die Menschen selbst.
Das sind einleuchtende Gedanken. Sie werden den Nachdenklichen nicht gar so neu erscheinen, und die Christen werden sich erinnern, dass ihre Lehre sie ganz ähnlich seit 2000 Jahren verkündet. Freilich ist es etwas anderes, sie von einem indischen Philosophen und Lehrer statt von dem Pfarrer auf der Kanzel vertreten zu sehen.
Von einem Manne überdies, der jede Lehre, jede Dogmatik, jede Tradition, jede Bindung an Kirche oder Religionsgemeinschaft strikt ablehnt und die Menschen auffordert, nicht in der Vergangenheit zu leben, sondern den Ballast jeglicher (auch der persönlichen) Überlieferung, der Ideen und der Erinnerungen abzuwerfen, unbefangen in der Gegenwart zu leben und sich selbst zu erkennen: Wer sich der Autorität eines anderen unterstellt, kann wohl erfahren, was andere denken, aber er wird nicht erfahren, was er selbst denkt.
Das Leben – so gibt Krishnamurti zu bedenken – ist in ständiger Bewegung; wir sollten daher versuchen, dieses Leben zu verstehen und nicht die Ideen, die wir uns selbst oder die andere sich über das Leben machen. Wir müssen die Wirklichkeit erkennen, und solche Erkenntnis kann niemand anders für uns gewinnen, sondern nur wir selbst. Wir müssen ursprünglich werden, damit die Wirklichkeit in unser Leben kommt.